a house is a house is a home (ein Haus ist ein Haus ist ein Zuhause)

Der Tag der offenen Tür und die Open Studios am 16. und 17. September 2023 markieren die Wiedereröffnung der Villa Romana als "A House for Mending, Troubling, and Repairing". Das Haus öffnet seine Türen für ein breiteres Publikum, das sich nicht nur mit Kunstdiskursen und -praktiken befasst, sondern sich auch für verschiedene Formen der Zivilcourage, der Forschung und des kritischen und ökologischen Denkens einsetzt.

Die Ausstellung zeigt die Arbeit der vier Preisträger*innen, die seit Februar und März 2023 im Haus leben: Diana Ejaita, Jessica Ekomane, Samuel Baah Kortey und Pınar Öğrenci. Sie haben in den letzten Monaten den Übergangs- und Kontinuitätsprozess der Institution mitgestaltet. Ihre Präsenz, ihre künstlerische Forschung und ihr aktives Engagement waren von grundlegender Bedeutung für die Neugestaltung der Villa Romana und haben den Weg für einige der wichtigsten Überlegungen geebnet, die in dieser Ausstellung zum Ausdruck kommen. Wie unsere Kuratorin Mistura Allison anmerkt, haben sie das Echo, das in der Villa und darüber hinaus schwingt, verkörpert und vervielfacht, indem sie vergangene und künftige Energien dieses Künstlerhauses kanalisiert und sich gleichzeitig mit ihrer eigenen Forschung und Praxis auseinandergesetzt haben.

Während die Künstler*innen am Vernissage-Wochenende ihre Ateliers öffnen, findet in den Räumen der Villa eine vielschichtige Ausstellung unter dem Titel a house is a house is a home statt, um den Widerhall des Echos in mehrere Richtungen zu unterstützen. Und um Samen zu sähen. So wie das Haus von den Künstler*innen und dem Team, das darin wohnt, gelebt, erlebt und belebt wird - und von den vielen Freundn*innen, die an seinem Alltag teilnehmen -, so ist auch die Ausstellung als lebendiger Organismus konzipiert: nicht als etwas Statisches und Kristallisiertes, das die BesucherInnen über Wochen hinweg unverändert betreten und erleben können, sondern als ein poröses Gefüge, das sich entsprechend dem Rhythmus des Hauses und den Bedürfnissen und Stimmungen seiner BewohnerInnen verwandelt, bewegt und wächst. Denn als Ein Haus zum Ausbessern, Stören und Reparieren ist die Villa kein Ort der theoretischen Kontemplation, sondern des Handelns und der Relationalität, der Transformation und des (Be-)Wohnens. In einem Haus werden oft Tische gedreht, Stühle umgestellt, Gegenstände werden verschoben, gehen verloren und tauchen manchmal wieder auf. Auch die Stimmungen ändern sich, denn Sonne, Schatten und Licht verändern die Form des Hauses und dessen Erfahrung über Tage und Jahreszeiten hinweg.

Ein Haus ist ein Haus ist ein Zuhause, und seine Wände sind nicht statisch, sondern können zuweilen sprechen und tanzen, bröckeln und verstauben, schützen und bedrücken. In allen Kulturen ist das Zuhause nie ein festes Konzept, sondern eine Erfahrung. Eine Erfahrung, die jenseits des Westens meist kollektiv ist und sich nicht im Individuum oder in den Grenzen der Kernfamilie und der biologischen Familie erschöpft. Stattdessen stellt sie eine Kette von miteinander verbundenen und stets umfassenden Intimitäten dar, die von gegenseitiger Abhängigkeit und Geselligkeit geprägt sind.

Während wir bei SAVVY Contemporary in Berlin gelernt haben, ein Njangi-Haus zu leben und zu verkörpern (Ndikung 2017), als eine Übung ständiger Solidarität, sind wir hier in der Villa Romana daran interessiert, mit der Notwendigkeit zu experimentieren, die Ordnung eines Zuhauses zu hinterfragen un zu stören. Um es mit den Worten von Giulia Palladini zu sagen, sehen wir dies als eine Gelegenheit an, um zu überdenken, was ein Zuhause sein könnte, und um deutlich zu machen, dass „es die Beziehung zwischen dem 'Politischen' und dem 'Häuslichen' ist, die sorgfältig überdacht werden muss, in der Politik ebenso wie in der Kunst." Wie sie weiter ausführt: „...eine andere Politik der Verwendung des Häuslichen zu erfinden, die das Schicksal seines Dilemmas behebt und eine mögliche Zukunft der Erlösung für alle Aktivitäten vorstellt, die dieses Wort hervorrufen könnte. (...) ein nicht-domestiziertes häusliches Leben zu fordern, ein wildes häusliches Leben, ein fantasievolles und unberechenbares häusliches Leben. (...) ein häusliches Leben jenseits von Familie und Psychoanalyse zu beschwören, ein häusliches Leben, das bereits in vielen Realitäten existiert, das von einer Vielfalt aufgebaut, verteidigt und aufrechterhalten wird. Ein Zuhause, das nicht auf Identität beruht, sondern auf einer Seinsweise, die das menschliche Leben möglich und wünschenswert macht."

Die aktuelle Ausstellung ist nicht als Inszenierung von Aussagen und theoretischen Positionen zu verstehen. In Anlehnung an das „take-over“ Projekt und das freie Experimentieren der Kinder vor einigen Wochen oder unsere Mitgestaltung eins Codex des Respekts und des Zusammenlebens schaffen wir eine Anhäufung von Beziehungen, eine Möglichkeit gelebter Komplexität und offener Verbindungen, in denen auch konfliktreiche Pluralisierung und Prozesse ausgetragen werden, wie in unseren „Gesellschaften der Verhandlung", um es mit den Worten von Naika Foroutan zu sagen.

Das Zuhause ist nicht nur ein Gebäude, ein Ort oder eine physische Einheit, sondern vielmehr ein Ergebnis kontinuierlicher Aushandlungsprozesse, bei denen soziale Normen und Machtstrukturen in Frage gestellt werden. 

A House for Mending, Troubling, Repairing steht für einen Raum, der Dissens zulässt und offen ist für kollektive Reflexion; ein Ort, an dem Normativität und Kanondenken in Frage gestellt werden; ein Haus, in dem künstlerisches Experimentieren Hand in Hand mit sozialer Reparatur geht. 

Es gibt viele Türen und Fenster, die Sie beim Gang durch die vielen Räume dieses Hauses entdecken und öffnen werden. Betrachten Sie jede von ihnen als eine Schwelle, die Sie in einen persönlichen Raum führt, aber auch als einen Hyperlink, der es Ihnen immer wieder ermöglicht, einen Schritt zurückzutreten und zum relationalen Rhizom der Verbindungen zurückzukehren, das das Haus durch seine Geschichte und seine Anwesenheit bildet.

Auch der öffentliche Raum wird mit einbezogen, um die Grenzen zwischen dem Persönlichen und dem Politischen, zwischen dem privaten und dem öffentlichen Engagement unserer künstlerischen Reflexion zu verwischen. Emeka Ogboh, der zusammen mit Chiara Figone (Archive Ensemble) als Juror für den Villa Romana-Preis 2023 fungierte und die Arbeit unserer Stipendiaten in diesen Monaten unterstützt hat, interveniert mit einer neu in Auftrag gegebenen Ausgabe von This Too Shall Pass - Tutto Passa, einer Mehrkanal-Klanginstallation auf dem Piazzale degli Uffizi, und einer choralen Performance in der historischen Società Canottieri Firenze. Das Werk reflektiert, was gemeinsames Singen in unserer Gesellschaft bedeutet, insbesondere in einer (post)pandemischen und krisengeschüttelten Welt, in der Musik und Kunst an sich schon lange durch andere mediale Präsenzen in den Hintergrund gedrängt wurden, und unterbricht den Fluss eines der belebtesten und symbolträchtigsten Plätze Italiens, des Piazzale degli Uffizi, auf akustische Weise.  

Auf diese Weise wird die Villa Romana mit der vielschichtigen Geschichte von Florenz in Verbindung gebracht und gleichzeitig eine Verbindung zur Eröffnung der wichtigen Ausstellung Camere con Vista hergestellt. Aby Warburg, Firenze e il laboratorio delle Immagini in der Gallerie degli Uffizi am 18. September, kuratiert vom Kunsthistorischen Institut (KHI), dem Warburg Institut und den Uffizien.

Juliane von Herz, Kuratorin und Auftraggeberin der ersten Iteration von This Too Shall Pass in Frankfurt, schreibt: „Emeka Ogboh erschließt durch sinnliche Erfahrungen wie Hören, Sehen, Schmecken, Riechen und Fühlen kulturelle Erinnerungsräume. In seinen Kunstwerken, Koch- und DJ-Performances werden diese Erinnerungsräume nach musikalischen Prinzipien gesampelt, ihre Ursprünge verschränkt." 

Gemeinsam mit dem Villa Romana-Stipendiaten Samuel Baah Kortey lädt Ogboh am Abend des 16. September zu einem multisensorischen Erlebnis in die Villa Romana ein: Florence na so so enjoyment, eine Session am Grill im Garten mit kleinen Koteletts und Musik. Dieser besondere gesellige Moment wird mit einem DJ-Set von Emeka Ogboh fortgesetzt, einem weiteren Bestandteil des Stücks This Too Shall Pass - Tutto Passa.  

Um die weiteren polysemischen Möglichkeiten Warburgs zu erweitern, präsentiert das Archive Ensemble in den Gemeinschaftsräumen der Villa eine Wiederholung seiner Haptic Library, die „Bibliotheken als gemeinschaftliche Displays für kollektive Interaktion und verschiedene kulturelle Formate auf der Grundlage antikolonialen und feministischen Denkens und Handelns neu vorstellt". Durch Lesungen, Textilien und Musik als multisensorische Medien für die Archivierung und Verbreitung von Erzählungen und Wissen richtet die Haptic Library ihren Fokus über das gedruckte Buch die Hegemonie des Sehsinns hinaus auf den Tastsinn und bietet eine Vielzahl von Perspektiven und Formen des Geschichtenerzählens über Regionen, Generationen und Epistemologien hinweg.

Die Installation und die relationale Bibliothek können sich im Büroraum oder an anderen Orten befinden, je nach den Bewegungen, den Bedürfnissen und den Stimmungen der Bewohner oder Wesen, die das Haus bewohnen, wie alle anderen Stücke dieser Installation. Wie in einem Haus und einem gemeinsam genutzten Raum werden Sie aufgefordert, herauszufinden, was sich wo befindet, und sich auf den Rhythmus und die Nutzung des Hauses und der Menschen, die dort leben, einzustellen.

Sobald man das Tor der Villa betritt, stößt man auf die Textilinstallation von Diana Ejaita, sechs bedruckte Stoffe, die von einer reichen abstrakten Symbolik durchdrungen sind. Sie empfangen den Besucher auf multisensorische Weise und filtern den Blick auf die bürgerliche architektonische Abfolge der Räume, indem sie Schichten der Undurchsichtigkeit und des epistemologischen Dissenses und der Vorstellungskraft multiplizieren. Man kann im Atrium ankommen, der Hauptkreuzung des Hauses, wo viele Klang-Echos ebenso wie visuelle Perspektiven ineinander übergehen und miteinander verwoben werden, oder man kann in die Nebenräume zurückgehen, wo Pınar Öğrencis Filme Zeit und Raum gestalten. Ihr erste Arbeit mit dem Titel Snow (2023) verweist auf die in Aşít (2022) gezeigten Szenografien, die Themen wie Vertreibung, Migration und Widerstand behandeln. Während man durch den Schnee navigiert, lässt Öğrencis Dreikanal-Filminstallation Hotel Miks (2023) die gesellige Alltäglichkeit des Lebens in der Villa widerhallen, allerdings in der Heimatstadt des Vaters der KünstlerIn, Miks (oder Müküs auf Kurdisch, Moks auf Armenisch, Bahçesaray auf Türkisch) in der Provinz Wan. Im Atrium wird eine Auswahl von Fotografien und Dokumenten aus dem historischen Archiv der Villa Romana präsentiert, um einen Hintergrund für die Überlegungen zu liefern, die die Ausstellung in den Vordergrund zu stellen versucht. Reproduktionen aus den ersten Momenten der Gründung dieses Künstlerhauses, allesamt Dokumente aus den ersten Jahrzehnten der Institutionen sind verloren gegangen, da das Archiv während des Zweiten Weltkriegs nach Berlin verbracht und das Gebäude, in dem es gelagert wurde, bombardiert wurde, sowie Originalfotografien und Bilder des künstlerischen Lebens in der Villa. Gemeinsam mit Carlotta Castellani, die im Hinblick auf unser 120-jähriges Bestehen mit der Leitung der Archivrecherche betraut ist, haben wir Momente und Werke hervorgehoben, die im Leben der Villa zu Brüchen und Perspektivverschiebungen geführt haben. Einige davon erlauben es uns, auf den aktuellen Forschungsrichtungen der Institution aufzubauen, wie z.B. feministische Störung, diasporische Zugehörigkeit, ökologische Nachhaltigkeit und Dekanonisierung.

Die Arbeit von drei Künstlerinnen wird besonders hervorgehoben: drei Frauen, deren Forschungen sich mit einigen der Fäden verflechten, die wir in dieser Ausstellung und diesem Programm zusammenweben:

Anna Oppermann, Villa Romana-Stipendiatin 1977, wird mit ihren monumentalen und subtilen Ensembles vorgestellt, dreidimensionalen Wandinstallationen, die als offene Sammlungen und Arrangements aus teilweise mehreren hundert Bildschirmen, Fotografien, Zeichnungen, Objekten, Skulpturen, architektonischen Elementen, Schrifttafeln und Schriftbändern zusammengefügt sind. Sie wurden von der Künstlerin als im Raum ausgebreitete Bild- und Gedankenprozesse und als Reflexionen zu Übergängen zwischen Realität und Fiktion ausgearbeitet. Ein interessantes visuelles Echo und konzeptioneller Kontrapunkt zur Arbeitsweise von Aby Warburg und seinem Mnemosyne-Atlas, über den in diesen Tagen dievon Gerhard Wolf und dem Kunsthistorischen Institut kuratierten Ausstellung Camera con Vista in der Gallerie degli Uffizi eröffnet wird. 

Ulrike Rosenbach, die 1977 zusammen mit anderen Persönlichkeiten wie Martin Kippenberger, Marcel Odenbach und Klaus vom Bruch als Gaststipendiatin hier zu Gast war, bringt eine feministische performative Praxis in den Vordergrund, die bis heute viele Diskussionen und Überlegungen im Haus anregt. Ende Juli 1977 organisierten die damaligen BewohnerInnen einen Performance-Abend im und um den Garten unter dem Titel Künstler arbeiten für Künstler: An diesem Abend wickelte Rosenbach einen 1370 m langen roten Faden zehnmal um das Haus, ein Maß, das die Entfernung von der Villa Romana zu ihrem Haus (1370 km) darstellen sollte, und wickelte den restlichen Teil um ihre Beine, während sie sich auf ein Labyrinth aus Kerzen legte und mit den Händen in der Luft das Symbol der italienischen Frauenbewegung zeigte. Am nächsten Tag benutzte sie denselben Faden, den sie abgeschnitten hatte, um den Kopf der „dummen" (wie sie sie nannte) Medici-Venus am Ende der Auffahrt zur Villa Romana zu bedecken. 

Dorothee von Windheim wurde 1975 mit dem Preis ausgezeichnet. Ihr Werk befasst sich im wahrsten Sinne des Wortes mit der Praxis des Strappo, wobei sie über die Vergänglichkeit von Spuren und die philosophische Bedeutung von Brüchen ebenso nachdenkt wie über die Begriffe des Rahmens und des Index. Durch die Dekontextualisierung von Putz aus alten und neueren Gebäuden wollte der Künstler die (Un-)Geschichte des Alltäglichen beleuchten, aber auch über die Individualität nachdenken, die ein anonymer Teil des öffentlichen Raums durch die Umsetzung in einen Kunstkontext plötzlich gewinnt. Eine weitere interessante Überlegung im Haus zum Ausbessern, Beunruhigen, Reparieren. 

Die Ausstellung setzt sich in mehrere Richtungen fort, je nachdem, ob der Besucher dieser oder jener Stimme folgen möchte.

Wenn wir die Treppe weiter hinaufgehen, werden wir von einem Mehrkanal-Soundstück von Jessica Ekomane, Untitled 1, aufgefangen, das wir körperlich erleben können, während wir die große Steintreppe der Villa Romana hinaufgehen. Ein separater Text von Mistura Allison begleitet die Installation, um die vielschichtigen Arbeiten unserer Stipendiaten und ihre besonderen Beiträge zu dieser Ausstellung zu vertiefen. Aber die theoretische und mathematische Komplexität von Jessicas Arbeit erfordert ihre eigene konzentrierte kognitive Mitarbeit.

Auf dem ersten Balkon angekommen, wird man mit dem hypnotischen und pulsierenden Werk von Stephany Nwobodo - Genesis (2023) - konfrontiert, einem Gemälde, das in eine der architektonischen Lünetten des Atriums gemeißelt wurde und alte Masken aus dem Wissenssystem der Igbo wiederbelebt. Der Adamma-Maske werden sieben Pfauenfedern gegenübergestellt, die über die weibliche Schönheit hinausgehen und als Beschwörung vergangener und zukünftiger guter Geister im Haus fungieren. Ein Schutz für die Gefährten, für das Haus und für die Menschen, die diese Zeichen und Codes lesen können.

Auf dem höchsten Balkon, mit Blick auf die Treppe und das Treppenhaus, ist der Kurzfilm Forensic for a Mamluk von Shannon Bool (Villa Romana Fellow 2013) installiert. Das Stück aus der Sammlung der Villa Romana zeigt eine analytische Vogelperspektive auf ein Meisterwerk der dekorativen Kunst, den riesigen ägyptischen Mamluken-Teppich aus der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts. Der Teppich war im Palazzo Pitti in Vergessenheit geraten, bis er 1982 von Alberto Boralevi, einem Florentiner Teppichexperten, in einer versiegelten Kammer des Palazzo wiederentdeckt wurde. Das Objekt war in Vergessenheit geraten, weil die dekorativen Künste gegenüber der Malerei und der Bildhauerei als minderwertig angesehen wurden. Für uns bietet es nicht nur die Möglichkeit, einen nicht-westlichen erkenntnistheoretischen Ansatz für das Studium von Bildern und Artefakten zu entwickeln, sondern es symbolisiert auch die Absicht, die Häuslichkeit neu zu verhandeln, es verkörpert die buchstäbliche Geste des Flickens und Webens, und es eröffnet eine starke Verbindung zu unserem Garten.

Wenn man im ersten Stock durch das Achteck zu den Künstlerateliers und der Wohnung von Diana (rechts) und Pinar (links) geht, befindet man sich plötzlich in einem hohen Raum, einer leeren Geometrie, die sich wie ein ausgehöhlter Turm bis zum Dach der Villa erstreckt. Wenn man nach unten schaut, sieht man einen weiteren Film von Pınar Öğrenci, ein Stück aus Un Peso, das uns in die Stadt Acapulco in Mexiko führt.

Wenn man die steilsten und engsten Stufen des Hauses hinaufsteigt, sieht man eine Wand mit den Namen aller Stipendiaten, die von 1905 bis heute mit dem Preis der Villa Romana ausgezeichnet wurden. Eine lange Liste mit einigen verstorbenen und vielen noch lebenden Künstlern, die im Laufe der Geschichte ihre Spuren hinterlassen haben.

Der Parcours führt entweder auf die Terrasse, wo eine Klanginstallation des hauseigenen Radios - Radio Papesse von Ilaria Gadenz und Carola Haupt - zu hören ist, oder in die Bibliothek der Villa. Anlässlich der Offenen Ateliers 2023 präsentieren sie Echoes from troubled bodies, eine immersive Installation mit ausgewählten Stimmen aus dem Archiv von Radio Papesse, von Ananda Costa, Alessandra Eramo, Adriene Lilly, Jasmina Metwaly (Villa Romana Fellow 2022) und Josèfa Ntjam. Sie alle setzen sich mit dem Körper als Ort des Diskurses auseinander und nutzen ihn als Resonanzkörper und Klanginstrument. Auf demselben Dach entfaltet sich im Laufe der Ausstellung und des ganzen Jahres eine andere Art von multisensorischem Experiment, eine Reise zu den Sonnenwenden: Ivana Frankes Stück Suncostaj. Ein Instrument, das die Sonnenstrahlen einfängt, ist auf dem höchsten Punkt der Villa gelandet und macht das Sonnenlicht sichtbar, indem es auf die Besucher und die in der Stadt umherstreifenden Menschen geworfen wird. Es erscheint eher als ein Grenzlicht, das Neugierde weckt, als eine Markierung oder ein Wegweiser - ein „Navigationsstern", der unsichtbare Bahnen, mögliche Bewegungspfade von verschiedenen Orten in der Stadt beschreibt. Ein visuelles Echo der Villa Romana, das von den BewohnerInnen und PassantInnen der Stadt Florenz unerwartet wahrgenommen wird. Kein Leuchtturm, sondern ein Tagesstern, der zur Präsenz aufruft und diejenigen, die sich zum Haus des Ausbesserns, Störens und Reparierens berufen fühlen.

Wenn man die Treppe hinuntersteigt und durch den Korridor geht, in dem man nacheinander auf die Ateliers und Räume verschiedener GastkünstlerInnen trifft, gelangt man zu einem weiteren pulsierenden Herzstück der Villa: der Bibliothek und dem Archiv, in dem Tausende von Büchern den BewohnerInnen und ForscherInnen zur Verfügung gestellt werden. Hier präsentiert die Filmemacherin Aline Benecke das Stück Können wir nicht so egozentrisch sein und unsere Erfahrungen für uns behalten? Diasporische Erinnerungen an Fasia Jansen, ein Stück, das sich mit der Erinnerung an die deutsche politische Liedermacherin und Friedensaktivistin Fasia Jansen auseinandersetzt. Fasia wurde 1929 in Hamburg als uneheliche Tochter des weißen deutschen Mädchens Eli Jansen und der liberianischen Konsulin Momolu Massaquoi geboren. Sie wurde Zeugin des Leidens jüdischer Frauen im Lager Neuengamme, wo sie zur Zwangsarbeit inhaftiert war. Nach diesen und vielen anderen traumatischen Erlebnissen widmete Fasia ihr Leben verschiedenen politischen Kämpfen, engagierte sich in Frauen-, Arbeiter-, Anti-Atom- und Friedensbewegungen und schrieb eine beeindruckende Sammlung von Protestliedern. Wie Benecke schreibt: „Unsere Sehnsucht war es, uns mit Fasia aus einer Black-Queer-Perspektive zu beschäftigen, ihre Positionierung zu verstehen und damit unsere zu verhandeln. Wir taten dies, indem wir ihre Lieder und ihren Geist sammelten und nachspielten. Unser Chor - das Fasia Jansen Ensemble - ist eine spirituelle Beschwörung.“ Das Stück gewann den Villa Romana-Preis des diesjährigen ADCF, des African Diasporic Cinema Festival, das von Fide Dayo, einem weiteren Bewohner der Villa Romana, gegründet und geleitet wird. Für uns ist es eine Reflexion über die Bedeutung der Erschaffung und Erhaltung von dissidenten Archiven und über die Notwendigkeit, das heteronormative historische Gedächtnis zu hinterfragen. Gleichzeitig materialisiert es sich als ein Chor von aktivistischen Stimme, die im ganzen Haus in Echos widerhallen.

Zurück auf dem Korridor desselben Stockwerks finden Sie die Zimmer der GastkünstlerInnen: KünstlerInnen, die die Villa für einen kürzeren Zeitraum mit uns zusammen bewohnen. Es handelt sich um vier Zimmer, darunter eines, das nach Hans Purrmann benannt wurde und das im Haus zum Ausbessern, Stören, Reparieren gerade kollektiv umbenannt wird. In diesem Raum lebt der Künstler Erik Tollas, ein Gast des ERIAC (European Roma Institute for Art and Culture) und der Villa Romana, der an den Open Studios und der Ausstellung a house is a house is a home teilnimmt. Inspiriert vom Garten der Villa Romana hat Tollas drei neue Werke geschaffen, die Sie im Grünen verteilt finden werden: Indian Summer mit Blumen, Olive Yard at Night und Honeydew Teardrops.

Der Raum gegenüber dem ehemaligen Hans Purrmann-Zimmer trägt den Namen Superstudio. Die Superstudio-Möbel, die dem Raum den Namen geben, sind ein Kunstwerk von Marine Hugonnier: Stücke aus ihrer Einzelausstellung, die im Sommer 2009 in der Villa Romana zu sehen war, sind nun als Dauerinstallation in einem Gästezimmer arrangiert: ein Bett, ein Kleiderschrank, Regale und drei kleine Tische. Wie Sie auf unserer Website zu ihrer Ausstellung nachlesen können, „hatte die französische Künstlerin Marine Hugonnier Prototypen aus der ‚Misura‘-Serie von ‚Superstudio‘, der radikalen Architektengruppe in Florenz in den 1970er Jahren, geklont. Sie betrachtete das Konzept des Klonens als eine zeitgenössische Reproduktionstechnik. In der Praxis veränderte Hugonnier die Abmessungen bzw. die Proportionen der einzelnen Objekte auf subtile Weise. Diese Idee des Klonens eröffnete die Möglichkeit einer kritischen Aufarbeitung der Anliegen von ‚Superstudio‘ im Hinblick auf die Gegenwart.“

Der letzte Raum auf der rechten Seite ist das etwas mythische und - nach Aussage aller dort Schlafenden - intensiv inspirierende Álvaro-Urbano-Zimmer (ehemals nach Arnold Boecklin benannt), eine weitere Dauerinstallation als Gästezimmer, die einer traumhaften Krypta ähnelt: „Das Bett erhebt sich wie schwebend vom Boden. Alte Skulpturen aus Stein und Terrakotta, Vitrinen und archäologische Funde, die im Garten ausgegraben wurden, scheinen neben dem Bett aufzutauchen wie kommunizierende Gefäße in einem hermetischen Traum. Die aus dem Garten aufgetauchte Psyche von Capua wacht über den Schläfer und hilft ihm beim Erwachen. An der schrägen Decke öffnet sich ein Fenster, durch das man Grashalme in einem Dachgarten hoch oben erblicken kann.“ 

Der Raum steht in Verbindung mit einem anderen Werk, das Álvaro Urbano während seines Aufenthalts als Stipendiat der Villa Romana im Jahr 2014 hinterlassen hat: Im Garten, auf der linken Seite neben dem vom Jasmin überwucherten Pavillon, ist das Werk Observatory als nächtliches Bett gestaltet, das eine vergrabene Assoziation zur Hypnerotomachia Poliphili, zu Böcklin, Edgar Allan Poe, Ebdòmero, Bréton, Dali, Buñuel, Tatì, Jodorowski, Horrorkino usw. nahelegt. Das Stück wurde anlässlich der Open Studios 2023 und der Ausstellung restauriert, und das Publikum ist eingeladen, das Stück zu aktivieren und eine neue Beziehung zu ihm aufzubauen. Das Stück wird in Kürze in den Heilungsgarten integriert, den wir im Herbst bepflanzen und pflegen werden.

Wenn Sie die Treppe wieder hinuntergehen, entweder in umgekehrter Richtung oder über die kleinere Treppe, treffen Sie wieder auf die Haupthalle, die Abzweigung, von der die verschiedenen Routen ausgingen. Dort gehen Sie in Richtung Garten und finden den Hauptsaal Sala Giardino, unseren größten und bekanntesten Raum, der für verschiedene öffentliche Aktivitäten und gemeinsame Momente sowie Ausstellungen genutzt wird. Hier präsentiert unser Stipendiat Samuel Baah Kortey eine neue Reihe von Werken, die während seines Aufenthalts in Florenz entstanden sind: ein großformatiges Gemälde, das an die Kunst der afrikanischen Wachsdrucke und insbesondere an die Tradition der Stoffdrucke zum Gedenken an prominente Persönlichkeiten als Symbol für Stärke und Identität im Angesicht der Unterdrückung anknüpft. Die Leinwand, Teil der Serie Do This in the Remembrance of Us des Künstlers mit dem treffenden Titel Na Who Give Up, Messop, entfaltet sich über die gesamte Länge und Breite des Raumes, während ihre Materialität durch das Klangstück Our Village People (Do This In Remembrance of Us) verstärkt wird. Samuel begleitete die Besucher auch bei der Navigation durch das Haus, indem er in verschiedenen Ecken der Villa kleinere Werke installierte, die wie Gespinste oder lebende Organismen an den Wänden auftauchen: Die Arbeiten sind Teil der Serie Chris-sis; Inaccessible files 00BC-Forever III, die sich mit der Hyper-Sichtbarkeit des christlichen Kruzifixes und der christlichen Ikonografie in der urbanen Landschaft seines Heimatlandes Ghana auseinandersetzt und auf die Kommerzialisierung dieses religiösen Symbols anspielt.

Impressum

Direktorin: Elena Agudio 

Kuratorin und Projektkoordinatorin: Mistura Allison 

Verwaltung: Claudia Fromm 

Produktion Ausstellung: Giulia Del Piero 

Produktion Haus: Ala Turcan, Victor Cebotaru 

Künstlerische Betreuung: Leonardo Panci 

Kuratorische Assistenz: Cecilia Buffa 

Technische Unterstützung und Tontechnik: Pietro Mauro Forte (für die Installation This Too Shall Pass - Tutto Passa von Emeka Ogboh auf der Piazzale degli Uffizi) 

Komponist und Übersetzung von This Too Shall Pass - Tutto Passa: Omar Gabriel Delnevo 

Archiv: Carlotta Castellani 

Archivassistenz: Leonie Wessel 

Gartenteam: Marleen Boschen, Isabella Devetta, Claudia Fromm, Victor Cebotaru, Leone Contini, Carola Haupt, Mistura Allison, Elena Agudio.

Grafisches Konzept: Untitled Design Agency 

Wir danken den BewohnerInnen der Villa Romana und all jenen, die in den vergangenen Monaten immer wieder zu ihrer Lebendigkeit beigetragen haben: die Villa Romana-Stipendiaten und Alumni, Elena Micheli, Radio Papesse, Michele Pardo, Justin R. Thompson, Janine Gaëlle Dieudji, Jermay Micheal Gabriel, Odeon Davis, Chris Cyrill, Carmela Iziegbe, Juliane von Herz, Jonas Tinius, Edoardo und Jacopo Bottarelli, SADI, Chiara Figone, Emeka Ogboh, Paz Guevara, Lynhan Balatbat, Leila Bencharnia, Fide Dayo, Simona Fabiani, Antonella Bundu, Jasmina Metwaly, Anna Lambertini, Giacomo Zaganelli, Archipel e.V., Ilaria Cavallini, Marzia Duarte, Constance Van Berckel, Eva Sauer, die Studierenden des Masterstudiengangs Spatial Strategies der Kunsthochschule Berlin-Weißensee, das Kollektiv blaxTARLINES.

Wir sind dankbar für die kontinuierliche institutionelle Zusammenarbeit und Unterstützung von: Kunsthistorisches Institut in Florenz - Max Planck Institut (KHI), The Recovery Plan, ooh-sound, Nub Project Space, ERIAC - European Roma Institute for Arts and Culture, Il Bisonte - Foundation for Art and Printmaking, Dipartimento di Architettura del Paesaggio dell'Università di Firenze, Masterprogramm Spatial Strategies der Kunsthochschule Berlin-Weißensee, Archive Books. 

Wir danken dem Vorstand der Villa Romana für dessend ständige Unterstützung und dem Kuratorium für dessen Engagement.  

 Die Villa Romana wird gefördert durch: Bundesbeauftragte für Kultur und Medien (BKM), BAO Stiftung, Deutsche Bank Stiftung. 

Dieses Ausstellungsprojekt wurde auch durch die Unterstützung der Fondazione CR Firenze ermöglicht, dank der Zusammenarbeit mit dem Kunsthistorischen Institut in Florenz (Max-Planck-Institut), und sie ist Partner der Florence Art Week.

Die Installation von Emeka Ogboh auf der Piazzale degli Uffizi hat das Patrocinio der Stadt Florenz.

EN - A house is a house is a home Booklet
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Träger der Villa Romana und des Villa Romana-Preises ist der Villa Romana e.V.
Hauptförderer ist die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien
Weitere Förderer sind die Deutsche Bank Stiftung, die BAO-Stiftung sowie projektbezogen zahlreiche Privatpersonen, Unternehmen und Stiftungen aus der ganzen Welt.

Das Kunsthistorische Institut in Florenz – Max-Planck-Institut (KHI) bietet eine kontinuierliche institutionelle Zusammenarbeit an und führt jährlich eine Forschungsarbeit mit einem der Villa-Romana-Preisträger*innen durch.

Villa Romana e.V. wird gefördert von:

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