11. August 1944 / 11. August 2024

Anlässlich des 80. Jahrestages der Befreiung von Florenz vom Nazifaschismus findet im Künstlerhaus in der Via Senese – dessen Träger seit 1905 der deutsche Verein Villa Romana e.V. ist – eine Reihe von Veranstaltungen und Diskussionen statt, um dieses bedeutende Ereignis mit Musik und historischen und künstlerischen Betrachtungen zu begehen. Sie bieten die Gelegenheit, sich mit der komplexen Vergangenheit dieses traditionsreichen Künstlerhauses in Florenz zu befassen, das Archiv zu öffnen und die ambivalente Geschichte einer deutschen Institution zu beleuchten, die unter der Leitung von Hans Purrmann und in der Zeit nach der Befreiung „entarteten“ Künstlern und Antifaschisten Zuflucht bot.

Darüber hinaus stellt die Villa Romana in Zusammenarbeit mit der ANPI (Associazione Nazionale Partigiani Italiani/ Verband der Partisan*innen Italiens) den Bewohnern des Hauses, den Unterstützern und dem Publikum bibliografisches Material des Atlante delle stragi nazifasciste (Atlas nationalsozialistischer und faschistischer Massaker) zur Verfügung. Der Künstler Theophilus Imani wiederum präsentiert seinen Beitrag zum Projekt „Troubling the Villa Romana Library“ und seine Auswahl von neuen Büchern über den italienischen Kolonialismus, die für die Institution angeschafft wurden.

PROGRAMM


18:30 Uhr: Einführung und Begrüßung durch das Team von Villa Romana: Elena Agudio (Leiterin), Mistura Allison (Kuratorin) und Claudia Fromm (Verwaltung).

19:00 Uhr: Villa Romana, 11. August 2024. Die Fäden der Erinnerung neu verknüpfen, wider das Vergessen: das Archiv der Villa Romana und die Jahre des Nazifaschismus. Die Villa Romana gedenkt der Befreiung von Florenz vom Faschismus am 11. August, dem Tag des heldenhaften Aufstands der „Battaglia di Firenze“, und erinnert an einige Menschen, die gegen das Unrecht der Diktatur kämpften. Anhand einer Reihe von Dokumenten aus dem Archiv der Villa Romana schildert Alyssa Magnifico von der Universität Carlo Bo in Urbino im Gespräch mit Carlotta Castellani das Schicksal einiger Italiener*innen und Deutscher, die während der tragischen Jahre des Faschismus und Nationalsozialismus in der Villa Romana lebten oder ihr eng verbunden waren, darunter Hans Purrmann, Rudolf Levy, Emy Roeder, Heinz Battke, Flavia Arlotta und Giovanni Colacicchi. Durch die Präsentation sollen diese Dokumente neues Leben erhalten, wenn erzählt wird, wie diese Menschen versuchten, sich dem Regime zu widersetzen, und welchen Angriffen sie daraufhin ausgesetzt waren, über gesetzliche und bürokratische Einschränkungen, Isolierung und Gefangenschaft. Die Präsentation ist Teil der Aktivitäten im Rahmen der Zusammenarbeit von Villa Romana mit der Universität Carlo Bo in Urbino, deren wissenschaftliche Leiterin Prof. Dr. Carlotta Castellani ist.

19:30 Uhr: Historische Betrachtungen, ausgehend vom Atlante delle stragi nazifasciste, in Florenz.
Mit Clara Stavro, Rosa Sancarlo und Alessandro Pini von der ANPI Oltrarno.

In Zusammenarbeit mit der ANPI Oltrarno. Der Atlante delle stragi nazifasciste ist eine interaktive Datenbank und macht die Forschungsarbeit Dutzender Historiker*innen zugänglich, die seit 2009 alle zwischen 1943 und 1945 von deutschen Truppen und Faschisten begangenen Gewaltverbrechen gegen Wehrlose erfasst haben. Das von Anpi und Insmli (Istituto Nazionale per la Storia del Movimento di Liberazione in Italia/Nationales Institut für die Geschichte der Befreiungsbewegung in Italien) unterstützte Projekt wurde von der Regierung der Bundesrepublik Deutschland aus dem deutsch-italienischen Zukunftsfonds finanziert. Die Forschungsarbeit hat eine bis dahin fehlende Erhebung aller Gewaltakte gegen unbewaffnete Zivilisten und Partisanen vorgenommen und so Forschenden große Mengen an wichtigen Daten und Informationen zur Verfügung gestellt. Ihnen ist ein eigenes Portal und eine Datenbank mit GIS gewidmet, durch das sämtliche Ereignisse lokalisiert werden können: www.straginazifasciste.it. Clara Stavro und Rosa Sancarlo, - die in diesen Monaten mit der Villa Romana zusammenarbeiten – nehmen einen Dialog mit Alessandro Pini auf. Sie haben ein Projekt entwickelt, das eine vielschichtige Unterhaltung über mit dem Nationalsozialismus und dem Faschismus verbundene Themen, die mehr oder weniger verschüttete historische Erinnerung und die zeitgenössische Stadt anregen soll. Ausgehend vom Atlante werden mit Hilfe eines Stadtplans von Florenz einige der dramatischsten Fälle faschistischer Gewalt erzählt, um ein Netz von individuellen und gemeinschaftlichen Erinnerungen, Verbindungen und Überlegungen zu knüpfen, die nicht immer Aufnahme in die offizielle Geschichtsschreibung finden. Dann wird der Blick auf ganz Italien erweitert und eine visuelle Parallele zwischen der Geografie der Massaker und der im ganzen „Bel Paese“ verbreiteten faschistischen und kolonialen Topografie hergestellt. Der Atlante delle stragi nazifasciste und die aus dem Projekt „Viva Zerai!“ – mit dem die Verbrechen, die Orte und die Protagonisten des italienischen Kolonialismus identifiziert und an sie erinnert werden soll – hervorgegangene Karte werden nebeneinander gestellt. Den Abschluss bildet keine visuelle Arbeit, sondern ein Text. Eine Reflexion über den Begriff Mapping und die Kartografie als Machtinstrument und Instrument des Widerstands, aber auch der kulturellen Bildung. Weltkarten und Landkarten verkörpern nicht nur die geografische Egozentrik eines großen Teils unserer Gesellschaft, sondern können auch dazu beitragen, dass wir uns entfremdet fühlen, und unsere Wahrnehmung und Kenntnis der Welt in Frage zu stellen. Die für die Entwicklung des Projekts und die weitere Veranstaltung verwendeten Materialien und Bücher werden in der im gleichen Raum eingerichteten temporären Bibliothek bereitgestellt.

20:00 Uhr: Reading und Einführung des Künstlers Theophilus Imani in das Projekt „Troubling the Villa Romana Library“.

Der Künstler und Wissenschaftler Theophilus Imani führt uns durch eine kritische Reflexion über die italienische Kolonialgeschichte. Dafür verwendet er Auszüge aus dem 1888 erschienenen Pamphlet La questione affricana von Sebastiano Martini Bernardi, das ganz in der Nähe des Ponte Vecchio gedruckt wurde. Diese Schrift verkörpert einen Schlüsselmoment für das Verständnis der ersten italienischen Forschungsreisen in Afrika und die aus ihnen hervorgehende Ideologie der kolonialen Expansion. Imani erkundet, wie diese Reisen zur Entstehung einer kolonialen Ideologie in Italien beigetragen haben, und umreißt den Kontext der italienischen Niederlagen in den Schlachten von Dogali und Saganeiti. Diese Niederlagen veranlassten Martini, die kolonialen Bestrebungen zu überdenken, während er in seiner Schrift Unmut und Bestürzung zum Ausdruck brachte. Martinis Kritik richtete sich an Regierung, Presse und Volk und zeigten die Täuschungen auf, welche dazu geführt hatten, dass sich Italien nicht nur mit einer afrikanischen, sondern auch mit einer italienischen Frage auseinandersetzen musste. Imanis Arbeit beleuchtet, wie sich die Beziehung zwischen Italien und seinen ehemaligen Kolonien in Afrika durch verschiedene Phasen und sowohl italienische wie afrikanische Akteure entwickelte. Diese Beziehung hat durch Verschweigen entstandene Lücken und Geschichtsverfälschungen hervorgebracht, die den Mythos der „italiani brava gente“, der anständigen Italiener, genährt und ein echtes Verständnis der italienischen Kolonialgeschichte verhindert haben. Imanis Überlegungen fügen sich in einen größeren Kontext von literarischen und künstlerischen Stimmen ein, denen es darum geht, die italienische Kolonialgeschichte zu enthüllen und neu zu schreiben. Von Maaza Mengiste über Igiaba Scego, Angelica Pesarini und Uoldelul Chelati Dirar bis zu den Installationen von Jermay Michael Gabriel und Dawit L. Petros setzen sich diese Arbeiten mit den Prozessen des Verschweigens durch die offizielle Geschichte auseinander und schlagen eine neue Ausdruckssprache vor, die imstande ist, sich die Geschichte wieder anzueignen und eine andere Zukunft zu entwerfen. Theophilus Imanis Einführung in das Projekt Troubling the Villa Romana Library bietet eine einzigartige Gelegenheit, über unsere Geschichte und unsere Identität nachzudenken und lädt uns ein, unsere Haltung gegenüber der Vergangenheit und der Gegenwart zu betrachten.

21.00 Uhr: Screening von Der Schutztruppestein nicht „Hererostein“ von 2024-Preisträgerin Tuli MekondjoDer sogenannte „Hererostein“ oder „Afrikastein“ befindet sich auf dem Soldatenfriedhof am Columbiadamm in Berlin-Neukölln. Das Denkmal wurde 1907 zum Gedenken an sieben deutsche Soldaten errichtet, die sich zwischen 1904 und 1907 freiwillig für den Feldzug in Südwestafrika (heute Namibia) gemeldet hatten. Die Inschrift auf dem Stein lautet: „Den Heldentod gestorben“. Die deutschen Kolonialtruppen in Südwestafrika führten unter dem Kommando von Lothar von Trotha einen ethnischen Vernichtungsfeldzug gegen das Volk der OvaHerero und Nama durch. Die Existenz eines Denkmals, das die Täter dieses Völkermordes als Helden bezeichnet, hat erhebliche Kritik ausgelöst und unterstreicht das komplexe Verhältnis Deutschlands zu seiner Erinnerungskultur.In dieser Videoperformance interveniert Tuli Mekondjo an diesem kolonialen Felsmonument, indem sie es in Erwartung seiner physischen Entfernung symbolisch fesselt. Begleitet wird dieser Akt von Stimmen der Vorfahren aus Namibia, die die Präsenz der Vorfahren der Künstlerin widerspiegeln.

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Träger der Villa Romana und des Villa Romana-Preises ist der Villa Romana e.V.
Hauptförderer ist die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien
Weitere Förderer sind die Deutsche Bank Stiftung, die BAO-Stiftung sowie projektbezogen zahlreiche Privatpersonen, Unternehmen und Stiftungen aus der ganzen Welt.

Das Kunsthistorische Institut in Florenz – Max-Planck-Institut (KHI) bietet eine kontinuierliche institutionelle Zusammenarbeit an und führt jährlich eine Forschungsarbeit mit einem der Villa-Romana-Preisträger*innen durch.

Villa Romana e.V. wird gefördert von:

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